Was also steht in der VERFASSUNG FÜR EUROPA? Ein kurzer Überblick erleichtert den Einstieg in das Regelwerk:
Die VERFASSUNG FÜR EUROPA besteht aus 448 Artikeln und ist in vier Teile untergliedert.
Der erste Teil ist nicht etwa eine allgemeine Einführung, sondern der eigentliche Kern der VERFASSUNG FÜR EUROPA. Er umfasst zwar nur 60 Artikel; ist aber die Grundlage für das Verstehen der europäischen Politikstruktur und dem Geschehen auf europäischer Ebene. In ihm sind die Europäische Union, ihre Werte, ihre Ziele und die Verteilung der Aufgaben zwischen den Mitgliedstaaten und der Europäischen Union definiert.
Hier wird dem Leser langsam bewusst, welche Aufgaben unsere Politiker in Berlin und welche Aufgaben oftmals dieselben Politiker in Brüssel und Luxemburg wahrnehmen. Die Organe der Union, wie das Europäische Parlament, der Ministerrat oder etwa die Europäische Zentralbank, werden vorgestellt. Die Rechtsetzung auf europäischer Ebene, die Finanzierung der Union und die Möglichkeiten eines Eintritts von europäischen Staaten in die Union, aber auch eines Austritts aus der Union sind weitere wesentliche Eckpunkte des ersten Teils.
Der zweite Teil enthält mit 54 Artikeln die Charta der Grundrechte, wie sie unter dem Vorsitz des ehemaligen deutschen Bundespräsidenten Roman Herzog erarbeitet und am 7. Dezember 2000 in Nizza feierlich verkündet wurde. Doch mit der feierlichen Verkündigung ist die Charta noch nicht zum verbindlichen Europarecht geworden. Dies wird sie erst, wenn die Mitgliedstaaten der Union die VERFASSUNG FÜR EUROPA ratifiziert haben.
Mit der Grundrechtecharta werden die Bürgerinnen und Bürger Europas die umfangreichsten Rechte weltweit haben. Neben der Menschenwürde enthält die Charta umfassende Freiheits-, Gleichheits- und Bürgerrechte sowie soziale und justizielle Grundrechte.
Im dritten Teil sind alle Detailregelungen enthalten, die zur Ausführung des ersten Teils notwendig sein können. Hier müssen die Möglichkeiten umschrieben werden, welche sich aus den verschiedenen Aufgabenbereichen der Union ergeben können. Dafür braucht die VERFASSUNG FÜR EUROPA insgesamt 321 Artikel. Durch sie werden die gesamten bisherige Regelungen der Europäischen Union in die VERFASSUNG FÜR EUROPA übertragen. Kürzungen oder Änderungen waren dem Verfassungskonvent hier nicht erlaubt.
Dass es sich beim dritten Teil nicht um eine einfache Lektüre, sondern um ein Nachschlageteil für Praktiker handelt, zeigt zum Beispiel Artikel 278 des dritten Teils zum Thema Gesundheitswesen. Darin heißt es, dass Europäische Gesetze auch Maßnahmen zur Festlegung hoher Qualitäts- und Sicherheitsstandards für Organe und Substanzen menschlichen Ursprungs oder auch Maßnahmen in den Bereichen Veterinärwesen und Pflanzenschutz festlegen.
Der komplizierte dritte Teil konnte erst am 10. Juli 2003 vom Verfassungskonvent fertig gestellt werden. Er musste vom Präsidenten des Konvents, Valéry Giscard d' Estaing, den Staats- und Regierungschefs daher nachgereicht werden. Der vierte Teil enthält in zwölf kurzen Artikeln die Schlussklauseln der VERFASSUNG FÜR EUROPA. Wie bei Verträgen üblich wird auf die Geltungsdauer, Übergangsbestimmungen, Ausnahmeregelungen und ähnliches hingewiesen. Besonders interessant ist der vierte Teil aber wegen seiner Regelungen zur Änderung der Verfassung, zu ihrer Ratifikation und ihrem Inkrafttreten.
Bestandteil der VERFASSUNG FÜR EUROPA sind auch 36 Protokolle und zwei Anhänge. In ihnen spiegelt sich die Vielzahl der Verhandlungskompromisse und Ausnahmen wider, auf denen die Europäische Union zum großen Teil basiert. So gibt es beispielsweise ein Protokoll über bestimmte Aufgaben der Nationalbank Dänemarks oder eines über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in den Mitgliedstaaten. Andere beziehen sich auf die Euro-Gruppe, das Verfahren bei übermäßigem Haushaltsdefizit oder das Subsidiaritätsprinzip.